Design Thinking gaukelt Managern eine schöne neue Welt vor: Wir alle sollen Kreativität erlernen können. Als Designer sage ich: Schwachsinn.
Harte Aussage? Ich darf das: Immerhin bin ich Designer. Und mir geht mittlerweile echt die Pulsader, wenn ich den Begriff Design Thinking nur höre.
Denn er ist zum ach so omnipotenten Heilsversprechen der modernen Arbeitswelt geworden. Egal, ob’s um Webseiten oder Klappzelte geht: Mit Design Thinking werden angeblich Innovationen quasi überall, für jedes Produkt und mit jedem Team möglich. Empatize, define, ideate, prototype, test: In fünf Schritten soll man zum perfekten Produkt gelangen.
Ehrlich, kommt mal runter auf den Boden der Tatsachen: Kreativität kann man nicht erzwingen.
Es gibt gute Gründe, Design Thinking durchaus kritisch zu betrachten – vor allem die Vorteile, die es verspricht. Ich möchte hier drei Aspekte herausgreifen, die mir als Kreativer immer wieder sauer aufstoßen.
Erstens: Gutes Design muss reifen – und braucht Kritik.
Ein Raum, zwei Flipcharts, fünf Köpfe, ‘ne Stunde Zeit– und fertig ist die Innovation? Ich bitte euch: So naiv kann keiner sein.
Gelungenes Design ist nicht das Ergebnis eines flinken Ideenfeuerwerks. Sondern ein iterativer Prozess, in dem Ideen gefunden, diskutiert, probeweise umgesetzt und anschließend Stück für Stück verfeinert werden. Zumal bereits der Start, nämlich die Post-It-Methode des Design Thinkings nur eine (zudem sehr beschränkte) Möglichkeit ist, Ideen zu strukturieren.
Innovation auf Knopfdruck, wie Design Thinking es streckenweise propagiert, ist Bullshit: Was da rauskommt, kann nicht ausgereift sein. Denn gerade beim Design steckt der Teufel im Detail. Es fehlt ein ganz wesentlicher Schritt: die Kritik. Jede Idee, jedes Element muss dem Feuer der Kritik standhalten können. Denn Kritik ist auch die Suche nach (besseren) Alternativen und allermeist gibt es eine bessere Lösung.
Andernfalls fällt die Innovation bei ihren (meist tausenden) Nutzern durch.
Wir Designer wissen: Innovation ist 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration. Design Thinking macht dann nur den Anfang, ob etwas funktioniert, entscheidet sich aber meist viel später.
Zweitens: Denkmethoden sind Struktur und Support, aber nicht Inhalt.
Wer sich schon länger mit Arbeitsmethoden beschäftigt, der weiß, dass die Auswahl an Methoden für kreative Arbeit in den vergangenen Jahren schier unendlich geworden ist.
Das ist auch gut so: Mit ihrer Hilfe kann man sich auf den Punkt konzentrieren, wirre Gedankengebäude neu strukturieren, und in gewissem Maße aus unseren eingeschliffenen Ideen-Gängen ausbrechen. Ein Beispiel: Mit der Kopfstand-Methode dreht man Probleme und Fragen komplett um und erreicht so eine völlig neue Sichtweise.
Allerdings reizen solche Methoden uns nur an, unsere Sichtweise zu ändern. Sie strukturieren unser Denken oder unsere Gedanken neu. Sie liefern uns sozusagen ein Regal, das uns hilft, Sachen einzusortieren, leere Fächer zu entdecken und übervolle umzuordnen. Allerdings braucht es immer noch Elemente, um das Regal zu füllen. Und das ist eben die Kreativität an sich: der Inhalt unserer Gedanken, die Ideen selbst.
Methode ist Struktur. Kreativität ist Inhalt. Also kann keine Methode Inhalte schaffen.
Drittens: Nicht jeder muss im Job kreativ sprühen.
Oder anders gesagt: Die Mischung macht’s.
Jede Firma braucht verspielte Spinner – und dann aber auch strukturierte Macher, die Visionen ganz konkret umsetzen und nutzbar machen. Mit anderen Worten: Warum soll jeder Programmierer auf einmal kreativ sein? Sicher: Es ist gut, wenn er seinen Horizont erweitert. Doch am Ende des Tages zählt vor allem, wie seine Codezeilen aussehen – und die sollten vor allem nach den Regeln der jeweiligen Sprache funktionieren.
Gute Methoden – und falsche Versprechen
Sicher: Nicht alles an Design Thinking ist Blödsinn. Die Methode, die es übrigens schon rund ein halbes Jahrhundert gibt, ist im Grunde alter Wein in neuen Schläuchen. Und kein schlechter: Wenn man sich die Methoden, aus denen die „Marke“ Design Thinking zusammengewürfelt ist, im Einzelnen ansieht, können sie hier und da wirklich helfen: Und zwar solchen Menschen, denen strukturiertes Denken fremd ist. Oder denen das
Querdenken, der Blick über den Tellerrand, schwerfällt.
Sie alle können sich wunderbar bei einzelnen Elementen des Design Thinking bedienen. Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Trefft euch persönlich zum Gedankenaustausch. Telefon und E-Mail hemmen und verschlucken Informationen.
- Arbeitet in cross-funktionalen Teams, also quer über Qualifikationen hinweg. Je mehr unterschiedliche Sichtweisen ihr sammelt, umso besser.
- Passt auf, dass das Gefüge der Gruppe stimmt. Autoritäten können unterstützen, aber auch das freie Herumspinnen verhindern.
Schön, dass es jetzt ein hippes Schlagwort gibt, das in verkrusteten Organisationen endlich Bereitschaft weckt, sich cross-funktional und systematisch mit Innovation zu beschäftigen. Aber es ist eben ein Werkzeug, um ein Ergebnis zu erarbeiten – und nicht das Ergebnis selbst. Auch wenn sich das Werkzeug schon ganz hip, innovativ und anders anfühlt, wenn man es das erste Mal in die Hand nimmt.
Aber bitte verschont mich in Zukunft mit Marketing-Geblubber und Lobpreisungen von Design Thinking. Kein Mensch wird dadurch plötzlich zum neuen Steve Jobs.
Und vergesst nicht: Gelungenes Design kann eben auch nicht auf alle Produkte und Bereiche angewandt werden. Manchmal benötigen Lösungen nicht mit brachialer Methode erzwungenes Um-die-Ecke-Denken. Sondern einfach ein bisschen Menschenverstand.